Am 23. Mai 2024 wird unser Grundgesetz 75 Jahre alt. Bei seiner Entstehung noch als Provisorium gedacht, bildet es bis heute die Rechts- und Werteordnung unseres Zusammenlebens in einem freien und demokratischen Rechtsstaat. Am Anfang stehen die Grundrechte. Sie sollen allen Menschen in Deutschland ein Leben in Würde und Selbstachtung und frei von staatlicher Willkür garantieren. Die Grundrechte verpflichten den Staat und die drei voneinander getrennten staatlichen Gewalten – legislative (gesetzgebende), exekutive (vollziehende) und judikative (Recht sprechende) Gewalt – zu Wahrung und Schutz der Freiheits- und Gleichheitsrechte. Die „vierte Gewalt“ bezeichnet die Massenmedien, die durch Anregen und Lenken der öffentlichen Diskussion auf Politik und Gesellschaft einwirken.
Der Zweite Weltkrieg ist genau vier Jahre beendet, als der neu entstehende Staat am 8. Mai 1949 seine Verfassung erhält: Der „Parlamentarische Rat“ – ein Zusammenschluss aus Mitgliedern der Landesparlamente, 61 Männer und vier Frauen – verabschiedet mit 53 gegen 12 Stimmen das Grundgesetz.
Am 23. Mai 1949 wird das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland verkündet. Nur einen Tag später, am 24. Mai, tritt es in Kraft.
In den Jahren 1948 und 1949 sind die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und die Erinnerung an das Scheitern der Weimarer Republik noch sehr präsent. Allen Beteiligten ist klar: Die Geschichte des „Dritten Reiches“ darf sich niemals wiederholen.
In insgesamt 146 Artikeln sind nun als Gegenentwurf zum Unrechtsstaat die Grundrechte der deutschen Bürger*innen, die Bestimmungen zu demokratischen Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit, die Aufgaben von Bundesregierung und Bundestag sowie andere Gesetze fest verankert. Allen voran Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das bedeutet: Jedes staatliche Handeln muss sich nach dieser obersten Prämisse ausrichten.
Zentral ist auch das Prinzip der Gewaltenteilung (Artikel 20, Absatz 2). Sie sorgt dafür, dass kein Verfassungsorgan die Macht im Staat an sich reißen kann.
Lehren aus der Weimarer Verfassung
Die Vorarbeiten zur Verfassung leistete der „Herrenchiemseer Verfassungskonvent“. Er tagte vom 10. bis zum 23. August 1948, nachdem wenige Wochen zuvor, am 1. Juli 1948, die drei westlichen Alliierten den Ministerpräsidenten der West-Bundesländer den Auftrag gegeben hatten, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Diese erhielt die Zielvorgabe, eine demokratische und föderale Verfassung zu erarbeiten.
Der Entwurf enthielt somit schon die Umrisse des späteren Grundgesetzes. Dazu gehört – neben der Einführung des „konstruktiven Misstrauensvotums“ oder dem Grundsatz einer „streitbaren Demokratie“ – der fast vollständige Verzicht auf plebiszitäre [Plebiszit bedeutet: Volksbeschluss] Elemente. Auch die Stärkung des Parlamentes und des Bundeskanzlers gegenüber dem Bundespräsidenten waren bereits Bestandteile.
Ein "Provisorium" wird 75
Auf dieser Grundlage wählt die erste Bundesversammlung ein gutes Jahr später, am 12. September 1949, Theodor Heuss zum ersten Bundespräsidenten; der Bundestag am 15. September Konrad Adenauer zum ersten Bundeskanzler.
Dass das Grundgesetz als „Provisorium“ entstand, hatte allein damit zu tun, dass sich im Oktober 1949 als Folge des Zusammenbruchs der Nazi-Diktatur und des Endes des Zweiten Weltkrieges ein zweiter deutscher Staat bildete, die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Das Grundgesetz wurde vor diesem Hintergrund als Übergangsverfassung ratifiziert und sollte so lange gelten, bis Deutschland wieder „eins“ sein würde. 1990, nach der Wiedervereinigung von Ost und West, wurde es schließlich zur gesamtdeutschen Verfassung erhoben.